Bilanz der USA-Reise des Ausschusses für Haushalt und Finanzen des Niedersächsischen Landtages

Pressemitteilung des Niedersächsischen Landtages

Nach der soeben beendeten Informationsreise des Ausschusses für Haushalt und Finanzen des Niedersächsischen Landtages vom 2. bis 8. April 2006 in die USA - Stationen waren Washington D.C., Richmond (Virginia) und New York - hat dessen Vorsitzender, Heinrich Aller, hat soeben eine positive Bilanz der dort geführten Gespräche gezogen:

Über die Amerikanisierung aller Lebensbereiche wird immer wieder berichtet. Die negativen Auswirkungen der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs werden allenthalben beklagt. Und dennoch wissen wir, dass Deutschland und auch Niedersachsen extrem abhängig von erfolgreichem Export und Handel sind. Die USA prägen als Partner, Verbündete und Wettbewerber weltweit Entwicklungen. VW, Flughafen, Messe, Wissenschaft und Bildung, Banken und Börsen und nicht zuletzt die Struktur der öffentlichen Haushalte, der Steuer- und Sozialsysteme werden von Entwicklungen in Übersee massiv beeinflusst.

Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen uns mit dem Denken und Handeln dort intensiv auseinandersetzen, um zu verstehen, welche Zukunftsstrategien aus anderen Teilen der Welt europäische, deutsche - aber auch unsere Politik in Niedersachsen - beeinflussen werden. Wir wissen, was wir an unserer Demokratie und an unserem sozialen Rechtsstaat haben. Wenn wir das Gute und Beispielhafte erhalten wollen, müssen wir uns dem Wettstreit um die besseren Zukunftskonzepte stellen!

Die Politik darf diese Debatte nicht nur den Wirtschafts-, Finanz-, Wissenschafts- und Medieneliten überlassen. Voneinander lernen, Kontakte pflegen und best practice auszutauschen ist eine lohnende Investition in die Zukunft. Unter Berücksichtigung dieser Vorüberlegungen war die soeben beendete Reise des Ausschusses für Haushalt und Finanzen in die USA für die weitere Arbeit des niedersächsischen Landesparlaments extrem wichtig. Zeitpunkt und Ziele, Themen und Gesprächspartner waren offensichtlich mit Bedacht und richtig gewählt. Das bestätigten jedenfalls alle Gesprächspartner den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Informationsreise des Ausschusses für Haushalt und Finanzen, der in der Zeit vom 2. bis 8. April 2006 ein Power-Programm in Washington DC, Richmond/Virginia und New York absolvierte. Im kritisch-konstruktiven Dialog lernen und werben für Niedersachsen unter dieses Motto hatte der Ausschuss sein Programm gestellt. Schon bei der Hannover Messe werden die von den Niedersachen frisch geknüpften Kontakte mit Partnern aus Politik und Wirtschaft des US-Bundesstaates Virginia konkret fortgesetzt.

Wir gehen dahin, so hat es der Secretary of Trade und Commerce of the Commonwealth of Virginia, Wirtschaftsminister Patrick O. Gottschalk, formuliert, wo wir konkrete Chancen sehen, unsere Wirtschaft und unseren Bundesstaat im Wettbewerb mit Konkurrenten erfolgreich zu präsentieren. Die Hannoverschen Messen sind dafür hervorragend geeignet. Der neu gewählte Gouverneur von Virginia empfing die Niedersachsendelegation im Sitzungssaal des Kabinetts. Timothy Kaine, Demokrat, der mit Mehrheiten von Republikanern in House und Senate regiert, betonte, dass Virginia an Auslandskontakten sehr interessiert sei. Rund fünfzig wichtige deutsche Unternehmen seinen inzwischen in seinem Bundesstaat tätig, investierten, schafften Arbeitsplätze und zahlten Steuern. Er werde den Kurs seiner Vorgänger fortsetzen und vor allem Wirtschafts- und Wissenschaftskontakte nach Kräften fördern.

Der Haushaltsausschussvorsitzende Heinrich Aller (SPD) und seine Kollegen Bernd Althusmann (CDU), Dieter Möhrmann (SPD) und Klaus Rickert (FDP) sind sich einig, dass die Virginiakontakte für weitergehende Gespräche über praktische Projekte der Wirtschaftsförderung genutzt werden sollen:

Die Aufgabenstellungen sind ähnlich, die Lösungsansätze für regionale Förderkonzepte für beide Seiten interessant, in der Praxis bieten vor allem die Virginia Economic Development Partnership (VEDP) und die PPP-Konstruktion für International Relations, Hampton Roads Economic Development Partnership (HREDA) wichtige Anknüpfungspunkte, zogen die Abgeordneten bereits in Virginia eine positive Zwischenbilanz. In den kommenden Wochen sollen weitere Ergebnisse der Informationsreise ausgewertet werden.

Über die Parteigrenzen hinweg sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, dass die PPP-Erfahrungen aus den USA, eine Präsenz niedersächsischer Universitäten im Deutschen Haus in New York nach dem Beispiel anderer Bundesländer, eine intensivierte Auslandswerbung für mittelständische niedersächsische Unternehmen nach dem Vorbild Virginias und die Rolle von Regionalbörsen bearbeitet werden sollen. Sehr genau wolle man auch die Auswirkungen der Wettbewerbsphilosophie unter die Lupe nehmen, die sich in der Steuerpraxis und dem Einsatz von Subventionen und Steueranreizen ergeben.

Virginia als Bundesstaat und Richmond als Stadt haben sehr konkret gezeigt, wie vergleichbar die politischen Herausforderungen an die Landes- und Kommunalpolitik sind. Obwohl auch föderal strukturiert, sind die Rahmenbedingungen von der Steuer- bis zur Haushaltspolitik, von den Zuständigkeiten bis zu den Einrichtungen der Daseinsvorsorge extrem unterschiedlich. Es lohnt sich, genau hinzusehen, wenn gilt Vergleiche zu ziehen, konstatierte Martha Jansen, die Präsidentin des Landesrechnungshofes.

Die USA sind in diesen Wochen Ziel zahlreicher Spitzenpolitiker aus der Bundesrepublik. Zeitgleich mit der Delegation aus Niedersachsen hielten sich Bundesaußenminister Walter Steinmeyer und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos in Washington auf. Die Vorbereitungen für einen Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel sind in vollem Gange.

Man merkt, dass mit der Bildung der neuen Bundesregierung ein Klimawechsel in den deutsch-amerikanischen Beziehungen einhergeht, beschrieb der Wirtschaftsgesandte Egon Kochanke in dem einleitenden Briefing die neue Lage. Gemeinsam mit den Experten Finanz-, Steuer- und Wirtschaftsfragen Elke Kallenbach, Martin Kreienbaum und Dr. Karsten unterstrichen die Experten der Deutschen Botschaft die Bedeutung direkter Kontakte.

Bei aller Euphorie für Wirtschaftsbeziehungen mit Asien, blieben die USA bis auf weiteres Partner Nr. 1 für die deutsche Politik. Das Atlantische Bündnis sei eben mehr als nur die NATO.

Neben Handels- und Wirtschaftsbeziehungen hätten Wissenschaft und Forschung erheblich an Bedeutung gewonnen. Entgegen der landläufigen Vorurteile habe Deutschland als Investitionsstandort für amerikanische Unternehmen seine Position deutlich verbessert. Es sei deshalb nur logisch, das sich angesichts von Globalisierung und Europäisierung auch die Regionen also in Deutschland die Bundesländer stärker als Partner profilierten.

So sah es auch der Director for Austrian, German and Swiss Affairs, Daniel Weygandt. Der Deutschlandexperte, der Niedersachsen aus seiner Zeit beim Generalkonsulat in Hamburg bestens kennt, unterstrich wie wichtig es sei, in einer immer komplexer werdenden internationalen Politik fundiertes Wissen und Kenntnisse über den jeweils Anderen zu haben. Fakten, so Weygardt, sind das Eine, das Verstehen der Positionen des Anderen ist für Entscheidungsträger aber mindestens genau so wichtig. Man müsse nicht in jedem Punkt einer Meinung sein. Dauerhafte und gute Kontakte gelte es jedoch über Wahlperioden hinaus und unabhängig von Regierungen zu pflegen. Bayern sei beispielhaft. Die sind hier präsent. Die werden wahrgenommen. Die vertreten ihre Interessen auch in den Regionen.

Ganz bewusst hatte Aller bei der Vorbereitung Kontakte mit Repräsentanten von VW, der Nord/LB und der Messe AG sowie einen Besuch bei der New York Stock Exchange in das Programm genommen. Niedersachsen und seine Unternehmen im US-amerikanischen Markt war der Obertitel für diesen Programmteil. Ganz aktuell berichteten die Spezialisten der Nord/LB um Stephen Hunter über die Aktivitäten der Bank in Märkten des Public Private Partnership, Windenergie und Projekten der öffentlichen Infrastruktur. Fazit: Die Niederlassung im 37. Stockwerk der 1114 Avenue of the Americas ist hervorragend aufgestellt und liefert einen beachtlichen Deckungsbeitrag an die Mutter in Hannover ab.

Deutlich zurück gegangen ist die Ausstellerzahl aus den USA auf der CEBIT. Art Parades, von der Hanover Fairs USA, Inc. stellte die neue Strategie vor, mit der die hannoverschen Messen in den USA wieder an Attraktivität gewinnen wollen. Nach dem Einbruch der IT-Branche und dem Anschlag auf das World Trade Center gelte es verstärkt direkt bei den Kunden iin den interessanten Wirtschaftsregionen anzusetzen.

Bereits in Washington hatte David Geanocopoulos in einer Veranstaltung mit dem German American Business Council (GABC) über die aktuelle Lage am Automobilmarkt in den USA berichtet. VW wird seine Position in den USA in den kommenden Jahren deutlich verbessern, zeigte sich der Repräsentant optimistisch. Nach wie vor überzeuge die Marke durch Qualität. Unter dem zum Teil brutalen Preiswettbewerb litten jedoch alle Hersteller.

Die Schwerpunkte des Programms wurden schon in der Vorbereitung auf Steuerrecht und Steuerverwaltung, öffentliche Haushalte und Aufgabenfinanzierung durch Bund, Staaten und Kommunen, Public Private Partnership (PPP) und Wirtschaftsförderung gelegt.

Dass eine Amerikanisierung von Politik stattfindet, steht für den Ausschussvorsitzenden Heinrich Aller außer Frage. Wer amerikanische Politik richtig verstehen will, muss sich vor Ort ein Bild machen, ist Aller überzeugt. Er warnt vor allzu schlichten Vergleichen und der unkritischen Übernahme von amerikanischen Grundsätzen der öffentlichen Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik.

Deshalb habe er Wert darauf gelegt, dass neben den Vertretern der Bundespolitik in der Hauptstadt Washington auch Repräsentanten von Virginia, einem wichtigen von fünfzig Bundesstaaten und Richmond, als Ansprechpartner für kommunale und regionale Politik, der Chancen und Herausforderungen in einem föderal verfassten Land darstellen konnten. Der Bürgermeister von Richmond, Douglas Wilder, brachte es dann auch den Punkt: Theres one word describing our challenge: Money!

Wilder, der auch als Gouverneur von Virginia seine Erfahrungen mit dem Steuersystem und der Verteilung von finanziellen Ressourcen gesammelt hat, unterstrich die Komplexität des US-Steuersystems. Anders als in Deutschland hat der Bund weit weniger Zugriff auf Steuern als in Deutschland. Die verfassungsrechtlich abgesicherte Steuerhoheit der fünfzig Staaten führt denn ganz offensichtlich auch zu nur schwer vergleichbaren steuerlichen Rahmendingungen. Für deutsche Finanzpolitiker kaum vorstellbar ist deshalb, dass der Bund keine Mehrwertsteuer erheben und eine deutliche Erhöhung der Mineralölsteuer aus wahltaktischen Gründen kaum durchsetzen kann. Die von Staat zu Staat unterschiedlichen Festsetzungen von zusätzlichen Einkommenssteuersätzen oder Mehrwertsteuer und Salestaxes müsse zwangsläufig zu Verzerrungen und Intransparenz führen, sind sich die niedersächsischen Haushälter einig. Finanzausgleichsysteme wie in Deutschland gibt es nicht.

Joseph Cordes von der School of Public Policy and Public Administration, George Washington University, belegte eindrucksvoll, wie sich Steuerunabhängigkeit und Vielfältigkeit bei den staatlichen Einnahmen auswirken. Während der Bundeshalt sich im Wesentlichen aus Einkommens-, Lohnsteuer und nur im geringen Maße aus Körper-schaftssteuer finanziere, bilden Kosumsteuern, Grundsteuern und Beihilfen die Basis der Haushalte von Staaten und Kommunen. Ergänzt werden sie jedoch durch teilweise erhebliche Zuschläge bei der Einkommens- und Körperschaftssteuern und sonstige Einnahmen. Die rund 433 Millionen Nettoeinnahmen Virginias aus der staatlichen Lotterie, die komplett in die Bildungspolitik fließen, sind nach Meinung der niedersächsischen Haushälter schon eine Hausnummer.

Beachtlich sind die Einkommenssteuersätze, die ausgewählte Bundesstaaten wie Vermont, Kalifornien, Washington, DC oder Iowa in der Höhe von rund 9 Prozent zusätzlich erheben. Maryland und Virginia in unmittelbarer Nachbarschaft von Washington liegen bei 4,75 und 5,75 Prozent. Andere Staaten ohne zusätzliche Einkommensteuer setzen dagegen auf so genannte Kosumsteuern. Darunter Tennessee mit 7,0 oder Florida, Nevada, Texas und Washington mit über 6 Prozent.

Das gigantische Haushaltsdefizit der USA und das hohe Außenhandelsdefizit ist derzeit ein zentrales Thema in der amerikanischen Politik. Gemessen an den europäischen Stabilitätskriterien nicht dramatisch, innenpolitisch vor allem wegen der Steuersenkungspolitik der Bush-Administration umstritten gewinnt die Debatte mit Blick auf die bevorstehenden Mid-Term-Elections an Bedeutung.

William Hoagland, Berater des Mehrheitsführers im US-Senat Bill Frist, gelang es mit der 33-jährigen Erfahrung eines politisch denkenden, aber haushaltstechnisch perfekt handelnden Haushälters, die zentralen Punkte des aktuellen Bundeshaushalts mit einem Volumen von rund 2.800 Milliarden Dollar aufzuschlüsseln.

Ähnlich wie in Deutschland drohen wegen der steigenden Ausgaben gesetzlicher Verpflichtungen für Soziales und Gesundheit im Zuge der demographischen Entwicklung und des Schuldendienstes Kürzungen bei den Programmen für die Bundesstaaten und Kommunen. Nur noch rund 16 Prozent des gigantischen Haushalts, der von Repräsentantenhaus und Senat verantwortet wird, gehen an die Staaten.

Nicht die Steuerpolitik an sich, sondern die Organisation der Steuerverwaltung stand im Mittelpunkt eines Besuchs der Bundessteuerverwaltung, des Internal Revenue Service (IRS). Für die niedersächsischen Haushalts- und Finanzpolitiker war vor allem interessant, wie die 109 000 Beamtinnen und beamten des IRS bundeseinheitlich das Steuerrecht anministrieren. Dabei stellte Stephen Whiteaker überzeugend dar, dass unerwünschte Steuergestaltung oder gar Steuerhinterziehung von der Behörde konsequent verfolgt würden. Tax Shelter Programs harmlos in der Bezeichnung, zögen bei Verstößen massive Strafen nach sich. Unbestritten sei, wie der Experte für Govenmental Liaison Kyle G. Roberts darstellte, dass das Zusammenspiel zwischen den Steuerbehörden auf Bundes, Länder- und kommunaler Ebene nicht unkompliziert sei. Die Finanzverfassung garantiere den Staaten eine starke Stellung. Indirekte Steuern seien verpönt. Die Ausgestaltung von direkten und Sondersteuern in den einzelnen Staaten machten zum Teil komplizierte Verrechnungsmethoden und Datenaustausch notwenig. Die nationale Neustrukturierung des IRS und die Einführung einer landesweiten, leistungsfähigen IT-Ausstattung würde deshalb voran-getrieben. Mit der Annahme, Steuerrecht und reale Steuerbelastung seien in den USA für den Einzelnen seien in den USA durchweg günstiger, räumte denn auch Thomas E. Stevens auf.

Nur wenn man es vor Ort erlebt hat, kann man verstehen, wie amerikanische Politik funktioniert. Dieses Fazit zogen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem sechstätigen Aufenthalt in den USA. Beispiele dafür seien die Reaktionen bei allen Besuchern des Ground Zero, die Wirkung der allgegenwärtigen massiven Sicherheitsvorkehrungen, des global arbeitenden Kapitals in der Wallstreet oder die krassen Gegensätze zwischen Time Square und Seitenstrassen.

Neue Einsichten brachten auch die Veranstaltungen mit den den Republikanern oder Demokraten nahe stehenden Think Tanks, die das besondere Politikverständnis der Amerikaner demonstrieren. Die jungen Analysten der Heritage Foundation liefern strikt konservative Argumentationsmuster für Politik, Medien und Öffentlichkeit. Dagegen stehen die Vertreter der Links-Liberalen von Brookings, die mit vergleichbaren Strategien Argumente und Entscheidungshilfen geben.

Fredrick Kempe, Kolumnist des renommierten Wallstreet Journal, Bill Drozdiak vom American Council on Germany und der Vorsitzende der deutsch-amerikanischen Handelskammer, Dransfeld, und Dr. Stell vom deutschen Generalkonsulat standen im Deutschen Haus in New York für eine Abrundung der Gespräche aus unterschiedlichen Blickwinkeln zur Verfügung. Bernd Althusmann (CDU) und Dieter Möhrmann (SPD) waren sich einig, in der Beurteilung: Die Art und Weise wie Stiftungen, Think Tanks, Lobbyisten und Medien direkt Einfluss auf die Politik und öffentliche Meinung nehmen, sei beachtlich aber auch bedenklich. Damit umgehen zu können, das ist die die These des Ausschussvorsitzenden Heinrich Aller und letztlich auch die Botschaft der Amerikaexperten, sei jedoch wichtig, um deutsch-amerikanische Beziehungen auf gleicher Augenhöhe erfolgreich gestalten zu können.